Heiß, trocken und ab und an blau
Die geographisch mittlere der ABC-Inseln weckt Assoziationen nach vielen Cocktails am Abend und blauem Wasser mit weißem Sand – also Barcadi-Feeling schlechthin. Um dieses Klischee zu erfüllen, muss man schon ein wenig Eigeninitiative zeigen – zumindest wenn man Curaçao unter Segeln erreicht. Wer die Insel mit endlosen Sand- und Palmenstränden gleichsetzt, befindet sich nämlich auf dem (Tropen)holzweg!
Der Pauschalurlauber, der per Air- und Transferbus anreist, ist vermutlich sehr schnell im gewünschten Karibik-Setting, welches vor den zahlreichen Hotelanlagen aufs Feinste künstlich angelegt wurde. Als Segler landet man allerdings erst einmal in der großen und extrem geschützten Bucht „Spanish Waters“. Diese großräumige Lagune ist auf den ersten Blick keine Schönheit. Das Wasser ist weder klar noch blau und ein Sandstrand wurde auch nicht geliefert. Immerhin schaut ab und an eine neugierige Schildkröte aus dem Wasser. Die Bebauung rundum wirkt etwas unentschlossen – irgendwie ein bisschen Karibik gemischt mit Kolonialismus und moderner Architektur. Das diffuse Bild wird gekrönt von einer Offshoreplattform, die an der Außenseite der Lagune festgemacht hat und dort auf Vordermann gebracht wird. Vergleicht man die Ankerplätze auf Curaçao und Grenada – zumindest optisch - heißt es: ten points Grenada – five points Curaçao.
Die Insel als solche, erinnert in ihrer Kargheit sehr an alte Wildwestfilme, ist sie doch überwiegend sehr trocken, felsig und heiß. Wie in der restlichen Karibik scheint der Klimawandel auch hier zusehends ein Problem zu sein. Ein einheimischer Pflasterer, mit dem wir ein Schwätzchen halten und der ganz offensichtlich unter der ungewöhnlichen Hitze zu leiden hat, fragt uns ganz entsetzt, ob dies wohl das Ende der Welt wäre. Konsequenzen scheint man aber hier angesichts des Wandels keine zu ziehen. Windenergie wird nur wenig genutzt und Solaranlagen gibt es so gut wie keine – obwohl den ganzen Tag die Sonne vom Himmel brennt. Ein Erlebnis beeindruckt uns nachhaltig: Am zentralen Busterminal in Willemstad verlassen wir den Bus, der dort Endstation hat. Als letzte verlässt die Fahrerin den Bus, schließt ihn ab – und läßt den Motor laufen! Dann bemerken wir das alle leeren Busse im Busbahnhof mit laufendem Motor abgestellt werden, obwohl sie noch nicht mal eine Klimaanlage haben! Der Skipper vermutet, dass nach Kauf des Busses der Motor gestartet wird und erst kurz vor der Verschrottung wieder abgestellt wird.
Stromsparen ist wiederum sehr sehr hipp, wenn auch unfreiwillig. Wir erleben mehrere Stromausfälle zwischen ein paar Stunden und fast einem Tag. Das allerdings scheint völlig normal zu sein, da alle sehr gelassen bleiben, bei Kerzenlicht vor den Restaurants sitzen und überhaupt nicht gestresst erscheinen. Das plötzliche Aufleben der künstlichen Beleuchtung wird dann humorig von Jubel und Applaus begleitet.
Nachdem Holly Golightly sicher vor Anker liegt, müssen wir wie immer wenn wir ein neues Land mit unserer Anwesenheit beglücken, einklarieren. Curaçao ist zwar Teil des Niederländischen Königreichs aber trotzdem komplett unabhängig und auch kein Teil der EU.Dieser Prozess der „Anmeldung“ gleicht hier einer Gedulds- oder Geschicklichkeitsprüfung. Drei Schritte an drei Orten hat man sich einfallen lassen um das Segler:innenherz höher schlagen zu lassen. Als erstes muss man in die Inselhauptstadt Willemstad, ca. 10 Kilometer von der Ankerbucht entfernt. Jetzt kann das Spiel beginnen.
Wir rücken vor auf Feld eins: Die Immigration. Diese ist völlig abseits der Hauptstadt im Industriehafen verortet. Man macht halt vor einer Schranke, hält ein Schwätzchen mit dem Schrankenwärter, weisst sich irgendwie aus und erhält Zugang zum heiligen Gral. Die Umgebung erinnert fatal an Duisburg Ruhrhafen in den Achtzigern und man würde sich nicht wundern, wenn Horst Schimanski im silbernen Ford Grenada gleich mit quietschenden Reifen um die Ecke biegt. In einem angenehm kühlen Gebäude müssen wir nun allerlei Papiere ausfüllen, werden sehr freundlich behandelt und ca. 30 Min. später zu Feld zwei geschickt: Customs (Zoll). Wir müssen wieder zurück ins Zentrum von Willemstad. Außerdem erfahren wir, dass Feld drei (Harbourmaster) umgezogen ist und sich neuerdings ganz woanders befinden soll - bisher fand man ihn ganz praktisch unmittelbar neben Feld eins. Also erst mal wieder durch die Schranke und zurück in die Stadt.
Auf Feld zwei (Customs) angekommen, können wir davon profitieren, dass unsere Daten dank Mareike im sogenanten „Sailclear“, einer internationalen Datenbank, hinterlegt sind. Dadurch geht alles recht schnell und wir sind bereit für Feld drei: den Harbourmaster. Diesen suchen wir unter der neuen Adresse, die wiederum hinter einer Schranke beheimatet ist. Dort angekommen wird uns freundlich mitgeteilt, dass der Harbourmaster noch in seinen alten Gemäuern residiert und diese sind direkt neben Feld eins!! Allerdings ist nun Mittagspause und wir müssen anderthalb Stunden warten bis wir vorrücken können. Also wieder raus aus Schranke zwei, rüber nach Willemstad um dort die Zeit sinnvoll mit einem kleinen Mittagessen zu verbringen.
Dann, 90 Min später wieder auf die andere Kanalseite zu Schranke eins um im Nachbargebäude von Feld eins auf Feld drei vorzurücken: den Harbourmaster! Dort müssen wir lediglich angeben wo wir ankern und 20$ bezahlen. Wir haben es geschafft!!
Dank der tollen Hilfe von Gabriele, die uns die ganze Zeit durch die Gegend gefahren hat, haben wir alle Aufgaben an einem Tag geschafft und fühlen uns wie wahre Sieger!! Andere Segler, die das alles mit dem Bus oder Taxi erledigen wollen, brauchen dafür auch mal zwei Tage.
Durch unsere niederländischen Freunde Gabriele und EJ, die hier ein wunderschönes Haus haben, in das sie uns großzügig einladen, lernen wir in den kommenden Tagen die schönen Seiten von Curaçao nach und nach kennen.
Es gibt sie nämlich doch, die weißen Traumstrände! Man muss nur wissen wo und wie man Zugang bekommt. Die meisten Strände sind leider private Hotelstrände und daher nicht für jedermann zu erreichen. Ganz im Nordwesten der Insel finden wir beispielsweise die „grote Knipp“, die wunderschön gelegen ist und für alle zugänglich. Das Wasser ist eine Wucht und der Strand sehr schön. Will man länger bleiben und braucht etwas Platz zum Liegen, dann muss man aber auch hier einen Schirm und Liegen mieten.
Ein echtes Highlight ist auch Willemstad. In einer der Seitenstraßen reiht sich Kneipe an Kneipe und Abends gibt‘s tolle Livemusik und viel zu essen, zu trinken und zu sehen. Die einzelnen Locations sind alle extrem stilvoll und voller Leben. In einer Bar, die direkt aus einem Kubanischen Film stammen könnte, wagt sich die Holly-Crew im Überschwang der Gefühle an einen Salsa und verblüfft alle Umstehenden durch Extravaganz und Improvisationstalent :-)
Besonders auffällig und schön sind auch die zahlreichen Wandgemälde, die überall auf Curaçao ins Auge fallen. Besonders der Stadtteil Otrobanda – ein lange Zeit ärmlicher Teil von Willemstadt wurde durch zahlreiche aufwändige Wandgemälde zum hippen Viertel und somit vor dem endgültigen Verfall bewahrt. Gabriele führt uns durch dieses schöne Viertel welches mit dem Zentrum von Willemstadt durch die berühmte Königin-Emma-Brücke verbunden ist. Diese seltsame Konstruktion von 1899 gleicht einem extra langen und breiten Steg, der in seiner vollen Länge an das Ufer geklappt wird, wenn ein Schiff den Kanal durchfahren will. Am Ende des Stegs ist ein kleiner Motor montiert, der immer ordentlich zu ackern hat, um das ganze Konstrukt in Bewegung zu versetzen. Da dies recht oft nötig ist (hinter Willemstad liegt ein gigantischer Industriehafen) gibt es parallel noch zwei Fähren, die man kostenlos nutzen kann, während die Brücke in Zeitlupe auf- oder zuklappt.
Nach ein paar gemeinsamen Tagen mit Gabriele und EJ verlassen uns die Beiden und fliegen zurück nach Holland. Völlig unglaublich: Wir dürfen Haus und Auto weiter nutzen! So haben wir plötzlich ein Boot, ein Haus und ein Auto – was für ein Luxusleben!! Ein paar Tage später macht sich Mareike, wie schon länger geplant, auch für ein paar Wochen aus dem Staub und läßt den Skipper mit dem ganzen Reichtum alleine zuhause. Der ist nun völlig ratlos wie er die Tage rumbringen soll: Hin- und herfahren, auf dem Boot sitzen, im Haus wohnen? Vor lauter Verzweiflung taucht er ab, was in Form eines Tiefwasser-Tauchkurses geschieht.
Innerhalb einer Woche gibts eine manchmal etwas holprige Einweisung in das Deep-Water-Diving. Die wunderschönen Riffe in unmittelbarer Nähe bilden ein fantastisches Tauchrevier.
Einige Tage später nähert sich ein kleines Dinghy und der einsame Skipper ist ganz gespannt, wer ihn da wohl besuchen kommt. Ein braungebrannter, bärtiger Seemann strahlt ihn mit blauen Augen an und beide rufen beide gleichzeitig „Dich kenn ich doch!!!!!“. Unglaublich aber wahr – es ist Jörg, ein alter Bekannter aus Braunschweig!! Vor vielen Jahren war Franz mit seinem Sohn in Jörgs Praxis für Physiotherapie und seit dem sind wir uns hin und wieder über den Weg gelaufen. Später stellt sich heraus, dass Jörg auch Mareike kennt und die beiden noch viel mehr gemeinsame Bekannte haben. In der Ankerbucht hat sich nun eine nette kleine Gemeinschaft aus mehreren Booten gebildet. Gemeinsam fahren wir hier und dorthin, organisieren Spieleabende oder helfen uns gegenseitig bei kleinen und großen Problemen. Luise & Uwe von der „Luwina“ bieten auf ihrem großen Kat den Space und die Bewirtung für tolle Spieleabende, Heike & Frank von der „Manatee“ bieten Hilfe und Sachverstand in jeder Lebenslage und Skipper Franz macht mit seinem „eigenen“ Auto den Fahrdienst zum Supermarkt, zum Shop für Yachtzubehör oder zum chinesischen Imbiss um die Ecke, der an Skurilität kaum zu übertreffen ist. In einem komplett vergitterten Paralleluniversum bieten drei quirlige Chinesen vier bis fünf frittierte Leckereien an, die sechs bis sieben Gulden kosten und abends um acht oder neun am besten schmecken ;-)
So vergehen die Tage und Wochen und nebenbei baut der Skipper noch den schon seit Anfang an mitgenommenen Windgenerator wieder auf. Nun haben wir neben der Solar- auch Windenergie. Fehlt nur noch Mareike! Diese kommt, aufgrund einer kleinen Odyssee, hervorgerufen durch einen kräftigen Sturms über Europa, mit nur drei Tagen Verspätung wieder auf Curaçao an.
Jetzt können wir eigentlich den Anker aus dem Sand ziehen und wieder aufbrechen. Wäre da nicht die Sache mit den zwei Kaps und dem Wetter. Der Törn zwischen den ABC-Inseln und Cartagena in Kolumbien hat nämlich den Ruf recht anspruchsvoll zu sein. Es gilt zwei Kaps zu umrunden an denen häufig sehr raue Bedingungen herrschen. Zusätzlich steigt der Meeresboden zwischen Bornair und dem kolumbianischen Festland stark an (von ca 1000 auf nur 40 Meter). Bei starkem Wind entstehen hier extrem hohe Wellen, die von hinten kommend gerne mal versuchen ins gemütliche Cockpit einzusteigen. Da wir auf solch salzige und feuchte Einsteiger keinen Bock haben, gilt es ein günstiges Wetterfenster abzuwarten – und das kann dauern! Es ist also mal wieder eine kleine Geduldsprobe angesagt.
Zusammen mit uns fiebern zwei überaus nette und sympathische neue Crewmitglieder – Sofia aus Italien und Carl aus Deutschland. Die beiden jungen Hitchhiker haben uns gefragt, ob wir sie mitnehmen können und weil wir mit der Idee schon länger liebäugeln, freuen wir uns über eine so tolle Erweiterung der Crew. Letztendlich haben wir Glück und das gewünschte Wetterfenster öffnet sich schneller als gedacht. Am Morgen das 24. Juli holen wir den Anker aus dem Grund, verlassen die große Bucht „Spanish Waters“ und machen uns gut gelaunt auf den Weg nach Kolumbien.